Ganz nach jedermanns Geschmack


Das mutige Gastro-Bündnis zweier Helden-Brüder

Vereinsamte Stühle, trockene Zapfhähne, leere Parkplätze – in Lockdown-Zeiten muss die Gastronomie erfinderisch werden. Das geht leichter, wenn man sich auf Familie und Freunde verlassen kann. Die Brüder Christian und Florian Vogt aus dem Repetal leben Zusammenhalt vor und verraten uns, welche Rolle dabei Heimat spielt.

Im Herzen von Helden ist es auch im Lockdown keinesfalls still. Rund um die Dorfmitte des Attendorner Ortsteils herrscht geschäftiges Treiben. Ein kleiner Kran, Absperrzäune und emsige Bauleute stehen stellvertretend für den Tatendrang einer ganzen Gemeinde. 

Hier, wo im vergangenen Sommer eigentlich das Braufest stattfinden sollte, wird auch bei unangenehmem Dezemberregen geklönt und gewerkelt. 

Mittendrin ein dreiteiliger Gewerbezweig, der mit einem Namen in Verbindung steht: Vogt. Während die Kfz-Werkstatt von Papa Josef reparaturbedürftige Flitzer wieder fit macht, finden sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite die Betriebe der Söhne – Christian mit seiner urig-hölzernen, wenngleich modernen Speisewirtschaft „Helden herzhaft“, der ältere Spross Florian betreibt gleich nebenan seine Kleinstbrauerei mit Schankstube – die Ursprungsstätte vom Repetaler „Heldenbräu“. 

Handwerk, Hingabe und Höflichkeit

So unscheinbar beide Betriebe nebeneinander wirken, so perfekt passen sie doch zusammen. Kein Wunder, dass das Geschwisterpaar seine Synergieeffekte zur gemeinschaftlichen Appetitanregung nutzt. So kann jeder, dem es bei Christian zu frischer Küche und bodenständigen Speisen zusätzlich dürstet, noch einen mit handwerklicher Hingabe gebrauten Hopfensaft von Florian genießen. 

Erlebt man die Brüder untereinander, wird schnell klar: Hier kommt zusammen, was zusammen gehört. Und selbst wenn Geschmäcker verschieden sind, diese beiden treffen immer den richtigen. Das familiäre Basisrezept beruht hierbei weniger auf Hopfen und Malz, sondern vor allem auf gelebten Grundtugenden. 

Gemein sind beiden etwa grenzenlose Freundlichkeit, Witz und Hang zum Schabernack, Höflichkeit, Gastfreundschaft und eine heimatverbundene Bescheidenheit, die charmanter nicht sein könnte. Auch teilen sie eine anekdotenreiche Redseligkeit. 

Holz, Hopfen und Historie

Das verbindet und führt gleichwohl dazu, dass jeder, der mit ihnen ins Gespräch kommt, unweigerlich zum aufmerksamen Zuhörer wird. Zu erzählen gibt es bei Weizen und Bierlikör schließlich genauso viel wie zwischen Vorspeise und Dessert. 

In Christians Lokal hängen die Geschichten sogar regelrecht an den Wänden. Alte und neuere Bilder dokumentieren die Entwicklung des Örtchens im südlichen Sauerland, während die selbst gezimmerte Einrichtung darunter von der Helfermentalität zeugt, die tief in der DNA der Menschen im Repetal verankert ist.

„Alles, was man hier sieht, haben Freunde und Verwandte gebaut“, erzählt Selfmade-Koch Christian, der sich kurz darauf entschuldigen lässt: „Einen Moment bitte, da kommt gerade der Bäcker, der mir die Brötchen für meine Burger liefert.“

Ehrliches Handwerk, regionaler Zusammenhalt und erfinderische Neugier schaffen den Nährboden dieses genialen Gastro-Bündnisses – vor allem in Zeiten, die es besonders erforderlich machen, zusammen zu halten und Erfindungsgeister zu wecken. 


Wir haben Christian und Florian nach ihren Motivationen, Zielen und Hoffnungen sowie kulinarischen Grundsatzwidersprüchen gefragt.

BIGGE ENERGIE: Mats und Jonas Hummels, die Olsen-Zwillinge oder die royalen Prinzen-Brüder Harry und William: Geschwisterpaare schlagen häufig ähnliche Wege ein. Wodurch wurde bei euch die gleiche Begeisterung für das Gastronomiegewerbe geweckt?

Christian: Ich habe immer gerne gekocht. Mit 15 durfte ich dann erstmals in einem Lokal reinschnuppern. Danach war für mich endgültig klar: Ich will Koch werden!

BE: Christian, du hast dein Restaurant mitten in der Pandemie eröffnet. Selbst für einen Helden aus Helden ganz schön mutig…

Christian: Das konnte niemand vorausahnen. Natürlich macht man sich so seine Gedanken. Ich wusste jedoch zu jedem Zeitpunkt, dass ich mich auf den Zusammenhalt im gesamten Repetal verlassen kann – und so war es dann auch. 

BE: Zusammenhalt ist wichtig und wird in eurer ganzen Familie groß geschrieben. Aber reicht das?

Christian: Können gehört natürlich auch dazu. Ich habe mich in den letzten Jahren fast ausschließlich dem Kochen gewidmet. Meinen Mut ziehe ich nun daraus, dass ich meinen Stärken voll und ganz vertrauen kann. Man darf außerdem nicht außer Acht lassen, dass das Sauerland unter normalen Umständen ein beliebtes Tourismusziel ist – und gut gegessen wird ja überall gerne.

BE: Besonders die Gastronomie musste im vergangenen Jahr kreativ werden, um Umsatzdefizite auszugleichen. Mit welchen Strategien habt ihr die Pandemie-Einbußen kompensiert?

Christian: Der Take away-Verkauf kommt so gut an, dass ich damit alle Kosten decken kann. Gutscheine sind aber auch sehr beliebt.

Florian: Da die Brauerei für mich ein Nebengewerbe ist und viel Zeit in Anspruch nimmt, war die Pandemie ein willkommener Anlass, um mich wieder mehr aufs Studium zu konzentrieren. Was allerdings schmerzte, war das abgesagte Braufest, das hier in Helden ein echtes Highlight ist. Die entstandenen Umsatzverluste konnte ich durch Flaschen- und Fassverkäufe gut auffangen.

BE: Bier trinken und zünftig essen, beides gehört nun eher zu den geselligeren Alltagsbeschäftigungen. Wie sehr knackst das eingeschränkte Leben am Gemüt?

Florian: Gesellig sein liegt vor allem in der Natur von uns jüngeren Menschen, na klar. Ich muss sagen, dass wir zu Beginn der Pandemie noch sehr entspannt waren – man ist ja zuversichtlich. So verständlich Einschränkungen sind, mit der Zeit drücken sie natürlich ein wenig die Stimmung.

Christian: Es gibt bessere und es gibt schlechtere Zeiten. Wichtig ist, dass man wach bleibt und auch in eher ungünstigen Lagen versucht das Beste rauszuholen.

BE: Florian, was hat dich eigentlich zur Brauerei gebracht? Nebenher studierst du ja auch noch und wirst Lehrer. Bier und Bildung, passt das überhaupt?

Florian: Ich habe mich schon immer sehr für die Braukunst interessiert, besonders für dessen lange Tradition. Diese Geschichte wollte ich mit einem handwerklichen Produkt auf regionaler Ebene fortschreiben. 
Ich find’s schön, hierfür ein Bewusstsein zu schaffen und eine ehrliche Alternative zu Discounter-Bieren zu bieten. Davon mal abgesehen ist Bier in Maßen sehr gesund, gerade naturtrübe Gärungen enthalten eine Menge Nährstoffe. Viele wissen das gar nicht.

BE: Welche Rolle spielt es, dass man dabei in der Heimat verwurzelt ist?

Florian: Eine große! Wenn man aus Helden kommt und mit dem Ortsnamen spielen kann, ist man aus Marketinggründen ja fast schon dazu verpflichtet, ein „Heldenbräu“ zu entwickeln. [lacht] Aber mal ehrlich: In Helden ist man Teil einer sehr verschweißten Gemeinschaft.
Man kennt sich, man hilft sich – und das nicht nur in den Vereinen, in denen ich tätig bin. Das gesamte Dorf unterstützt mich und stellt den Absatz sicher, was großartig ist!

BE: Wenn man beide nebeneinander stellt, worin besteht der gemeinsame Nenner eurer Betriebe?

Christian: Gutes Essen und leckeres Bier ist einfach eine unschlagbare Kombo. Bier ist ja auch nicht nur ein bekömmlicher Begleiter, sondern lässt sich auch in vielen Gerichten selbst verarbeiten. Manche meiner Speisen, beispielsweise die ein oder andere Soße, erhalten erst durch das „Heldenbräu“ ihre eigene, ganz besondere Note.

Florian: Uns verbindet die Leidenschaft für gute Produkte und die Tatsache, dass wir beide noch sehr jung sind, was sich vor allem im modernen Stil des Speiselokals meines Bruders widerspiegelt.

BE: Florian, du bist immer drauf und dran deinen Bieren eine außergewöhnliche Note zu verpassen. Wie wichtig ist es für dich, dass sich das „Heldenbräu“ von Industriebieren abhebt?

Florian: Den Anspruch habe ich eigentlich gar nicht. Es ist aber schon so, dass Industriebiere häufig einen eher milden Einheitsgeschmack haben, damit sie in der breiten Masse ankommen. Ich bevorzuge kräftigere Gärungen. 
Und je nachdem wie man mit der Zugabe von Malz, Wasser, Hopfen und Hefe experimentiert, lassen sich unendlich viele Geschmacksnoten erzeugen.

BE: Macht das Kleinstbrauereien zu Keimzellen von Bier-Innovationen?

Florian: Man muss nur mal nach Belgien rüber schauen. Dort entstehen viele Biervarianten, die oft mit Früchten oder anderen kreativen Zutaten gebraut werden. Grundsätzlich gilt: Wer unabhängig vom Großmarkt ist, kann mehr ausprobieren.

BE: Manche Biere werden mit der rauen See beworben, andere mit norddeutscher Gelassenheit am Dünenstrand. Wenn man in solchen emotionalen Kategorien denkt, wofür steht dann „Heldenbräu“?

Florian: Momentan plane ich ein Bier mit Zutaten, die ausschließlich aus Repetal kommen. „Heldenbräu“ steht für das Sauerland – und das gute Handwerk, das man hier pflegt. Dazu braucht es auch nicht den einen Geschmack. 
Mein Helles ist sehr süffig mit leichter Karamellnote und fruchtigem Citrushopfenaroma, während das Röstaroma im Dunklen vollmundiger und malziger ist – beide sind trotzdem echte Sauerländer.

BE: Es gibt ja mittlerweile die verschiedensten Sorten. Wo hört der Spaß auf? 

Florian: Geschmäcker sind verschieden, aber meiner Meinung nach ist die Grenze bei Rauchbieren erreicht. Das schmeckt wie Klamotten riechen, nachdem man zu lang am Lagerfeuer saß. [lacht]

BE: Nach einem doch eher verkorksten 2020, was macht Hoffnung für 2021?

Florian: Dass sich die Zeiten wieder normalisieren. Bier schmeckt ja zum Glück immer!

Christian: Gemeinsam kommen wir alle bestmöglich durch diese schwierige Zeit. Mein Wunsch ist es, dass die Menschen wieder gemütlich essen gehen können. Das Besondere an einem Lokalbesuch in bester Gesellschaft kann durch nichts ersetzt werden!

BE: Noch zwei letzte Fragen an die Experten: Medium rare oder Well done, Flasche oder Dose?

Christian: Medium rare, da gibt’s für mich kein Vertun!

Florian: Nichts geht über die Flasche! Da bleibt das Bier länger kalt und die Kohlensäure kann auch nicht so schnell entweichen. Beim Wandern tut’s aber auch mal die Dose.

BE: Jungs, danke für das Interview!